Der Kirchentag und seine Bürokratie
Ein Feature aus Bremen
Kirchentag lässt friedenspolitische und antifaschistische Materialien beschlagnahmen.
Besucher stimmen schweigend zu. Polizei misshandelt.
Im Vorfeld des Kirchentags wurde versucht Obdachlose aus der Stadt zu entfernen. (1) Dies wurde erst unterlassen, nachdem die Kirche selber intervenierte. Gemäß (2) bestreitet der Innensenator, das es solche Bestrebungen gab. Gegenüber Indymedia bestätigten Obdachlose allerdings das Einzelnen sogar schon Decken und Schlafsäcke weggenommen wurden.
Holger kommt aus der Friedensbewegung und hat sich 1987 entschieden Friedensarbeit hauptamtlich zu machen und diese mit dem Vertrieb von Buttons, Aufklebern, Postkarten, Spuckies, T-Shirts und Fahnen sowie Aufnähern zu den Themen Frieden, Gerechtigkeit und Antifaschismus zu finanzieren. Das macht er auf Demonstrationen, Kundgebungen und Veranstaltungen. Die wichtigste ist alle 2 Jahre der evangelische Kirchentag.
Dafür bekommt er allerdings – im Falle des Kirchentags – nie eine offizielle schriftliche Erlaubnis, da er Einzelkämpfer ist. Auf dem Markt der Möglichkeiten wie auch beim Abend der Begegnung können sich nur Gruppen anmelden. In der Kirchentagsbuchhandlung könnte er seine Materialien nicht vor Ort herstellen und nicht persönlich mit den Kunden sprechen.
Eine Auswahl seiner Materialien
So kann er sich also nur in den Reigen der geduldeten ambulanten Händler einreihen. Bislang stellte dies auch kein unüberwindbares Problem dar. Er wurde zwar immer wieder mal vertrieben, konnte aber woanders wieder aufbauen. 2009 in Bremen war dies anders: Holger berichtet:
Zunächst baute ich meinen Stand in der Nähe des Hauptbahnhofs gegenüber eines Chinesischen Restaurants auf. Ein sehr schöner Platz, wo ich ohne Behinderungen alle 4 Tage hätte stehen können. Zwischen 2 Bäumen konnte ich meine Fahnen aufhängen und es war ein lockere Stimmung bis nach kurzer Zeit 7 Herrn und Damen des Ordnungsamts Ihr Verhinderungs- und Verbotswerk begannen.
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Es wurde telefoniert mit der Orgaleitung (Christorf Klocker, den Namen bekam ich erst später raus, das Telefon wurde mir weggenommen) und mir wurde von ihm gesagt das ich auf den Rasenflächen zwischen Tunnel und Messe geduldet würde. Dem Ordnungsamt wurde aber offensichtlich etwas anderes gesagt. Obwohl 9 Kunden aussagten, dass Sie Ihre Ware gegen SPENDE erhalten hatten, wurde sich lediglich auf EINEN Kunden berufen der behauptete es gekauft zu haben, denn nur dann hat die Behörde einen Handlungsspielraum.
Ich wurde zum Einräumen gezwungen mittels Polizei und es wurde sogar unterbunden wenn Menschen mir eine Spende geben wollten. Kein Lebensrecht! Bretzelverkäufer, die auf meine Nachfrage hin auch keinen Genehmigungsschein vorzeigen konnten wurden nicht behelligt.
Mir wurde ein Platzverweis erteilt, wobei nicht genau gesagt werden konnte für welches Gebiet. Ich sollte mich auf Nachfrage am Infopunkt am Hauptbahnhof melden.
Dort sprach ich mit einem Mann, der aus meiner Sicht ganz links saß. Mir wurde gesagt, ich solle in einen mir auf einer Karte gezeigten Bereich gehen, wo ich nicht belästigt würde.
Doch noch beim Aufbauen kamen die Kirchentagsordner und holten die Polizei. Obwohl 2 Kunden bereits Ihre Buttons bezahlt hatten wurden mir während der Fertigung die Buttonpressen weggenommen und das gesamte Material inklusive der Buttonpapiere beschlagnahmt. Ich versuchte öffentlich zu machen was hier gerade passierte, doch die Masse schwieg und einzelne Unterstützten sogar die Verhinderer.
Da mir gesagt wurde, das mir auf der Wache mitgeteilt würde wie und wann ich meine Sachen wieder bekäme, lief ich meinen Sachen hinterher die wahllos in eine große Tragetasche geworfen wurden, die von 2 Polizisten weg geschleppt wurde. Dabei machte ich weiterhin öffentlich, das antifaschistische Materialien beschlagnahmt wurden und das, wer dazu schweigt, zustimmt.
Auf der Wache wurde mir bedeutet, dass ich den Sachen nicht weiter hinter her laufen solle.
Obwohl ich rückwärts ging wurde ich schnell in einen Nebenraum außer Sichtweite jeglicher Zeugen abgedrängt und dort misshandelt. Die Wasserflasche, aus der ich gerade am Trinken war wurde mir aus der Hand geschlagen und ich bekam sie nie wieder zurück. Die Arme wurden nach hinten gedreht und insbesondere das rechte Handgelenk völlig überdreht, so dass ich auch nach 4 Tagen noch Schmerzen bei bestimmten Bewegungen habe.
Als ich so aus dem Raum gezerrt wurde eilte aus der Wache ein 3. oder 4. Polizist mit einem Gummiknüppel hinzu. Der Beamte der mir die größten Schmerzen zufügte feuerte ihn an „Schlag zu!“.
Ich war völlig parallelisiert ob der Tatsache das hier antifaschistische Materialien auf einem KIRCHENTAG beschlagnahmt wurden UND es den Leuten EGAL war. Deswegen versuchte ich am nächsten Morgen über die Kirchentagsleitung die Herausgabe der unter dem folgenden Vorwand beschlagnahmten Sachen zu erreichen:
„ zur Abwehr einer von der Sache oder Ihrem Gebrauch durch den Inhaber der tatsächlichen Gewalt ausgehenden gegenwärtigen Gefahr (§23 Nr.2 BremPolG) “
Das fand nicht nur ich völlig paradox, aber die Organisationsleitung weigerte sich trotzdem bei der Polizei anzurufen und um Herausgabe meiner Arbeitsmittel zu bitten.
So blieb mir nur mit meinen restlichen Sachen meinen Stand beim Messezugang zu betreiben. Mit meinen Ansteckern mache ich aber 80% meines Umsatzes. Besonders tragisch, da ich den Großteil des Reingewinns Trinkwasserprojekten (Quelleinfassungen) in Afrika zur Verfügung Stelle. Dies ist testamentarisch geregelt und mit Geschäfts-Nr 72-76 IV 2274/06 beim AG Hamburg hinterlegt. Das Testament samt Hinterlegungsschein wurde genauso beschlagnahmt wie meine Fahrkarte, so dass ich auch nicht die Rückreise antreten konnte.
Trotz Duldungszusage wurden auch alle Stände auf den Wiesenflächen zur Messe hin zum abbauen gezwungen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich wegen eines drohenden schweren Gewitters schon eingeräumt.
Auf dem Marktplatz hingegen stand ein mit einer Frau besetzter Reiskornbeschriftungsstand von Donnerstag an völlig unkontrolliert.
Soviel zum Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes:
Grundgesetz Art 3
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.
Ich versuchte am Freitag (Donnerstag war alles geschlossen wegen eines Feiertags) dann auf politischem und rechtlichem Wege eine Lösung zu finden. Bei DIE LINKE und DIE GRÜNEN war niemand zu erreichen. Bei der SPD bemühte sich Sabine Alexandridis in Zusammenarbeit mit Herrn Dreyer vom Innenministerium um eine frühere Herausgabe meiner Sachen VOR Ende des Kirchentages. Ich sollte mich wieder an die Polizei „Am Wall“ wenden. Dort war aber von einem Telefongespräch nichts bekannt. Die mir empfohlene Rechtsanwaltskanzlei Kuhlenkampf/Gohmann war zu einer Mandatsübernahme wegen Interessenkonfikts nicht bereit. Sie berät auch die Kirche…
Am Freitag besuchte ich dann den Markt der Möglichkeiten. Dort wurde mir von der Gewerkschaft der Polizei empfohlen beim Polizeipräsidium vorzusprechen. Auch dies war völlig sinnlos. Samstags würde nicht gearbeitet. Friedenspolitisch und gegen den Überwachungsstaat engagierte waren empört vom widersprüchlichen Vorgehen des Kirchentags.
So gab es Foren zum Thema Menschenrechte und Rechtsradikalismus und in den Medien wurde behauptet dass der Kirchentag wieder politischer werden wollte. Das Vorgehen gegen mich stand dem gegenüber im krassen Widerspruch. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Herausforderer Frank-Walter Steinmeier (SPD) haben am Donnerstag auf dem Christentreffen in Bremen auf die Verteidigung der Grundwerte Freiheit und Menschenwürde gepocht (3). Freiheitsliebende Buttons aber werden beschlagnahmt. Merkel warnte, eine freiheitliche Gesellschaftsordnung als selbstverständlich zu betrachten. «Freiheit muss gelebt werden», sagte die Kanzlerin (3). Doch wer Sie lebt wird verfolgt. Merkel appellierte an die Menschen, nicht der Gefahr der Konformität zu erliegen. Notwendig sei auch in einem freiheitlichen Rechtsstaat der Mut, für seine Werte und politischen Grundüberzeugung einzustehen (3). Doch wer dies tut wird von Kichentagsordnern, Polizei und Ordnungsbehörden politisch verfolgt. Bundespräsident Horst Köhler rief in seinem Grußwort die Menschen dazu auf, sich für eine solidarische und gerechte Welt einzusetzen (3). Doch wer dies tut wird verfolgt. «Jeder kann seinen Beitrag leisten, die Welt ein bisschen besser zu machen.» Im Kampf gegen Armut und Klimawandel müssten alle zusammenarbeiten. (3) Der Text einiger der Beschlagnahmten Buttonmotive lautet „Stoppt Sozialabbau – damit die Reichen nicht noch Reicher werden“ oder „Nein zu Kohlekraft“. Worte und Taten stehen im krassen Widerspruch.
Während des Kirchentages wurden immer wieder mehr soziale Gerechtigkeit statt einer Ellbogengesellschaft gefordert (4). Wieder nur leere Worthülsen.
In Absprache mit der Marktleitung einer Halle im Überseehafen gelang es mir wenigstens für Samstag in Zusammenarbeit mit einer anderen Gruppe einen Standplatz für ein paar Stunden zu bekommen. Ein Anruf der Marktleitung bei der Polizei konnte diese auch nicht bewegen mir meine Sachen wieder zu geben obwohl damit die Sicherstellungsvoraussetzungen weggefallen sind. Es bleibt hier zu überlegen ob eine Schadenersatzklage wegen „Gewinnentgang“ Aussicht auf erfolg hätte. Die meisten Menschen konnten zumindest nicht verstehen was passiert war. Auch die ehemalige Kirchentagspräsidentinn Dr Susanne Willems (1987-1997) war mit dem Vorgehen des 32. evangelischen Kirchentag NICHT einverstanden, hatte aber leider nichts mehr zu entscheiden.
Was ich mir selber Vorwerfen muss ist die Tatsache, das ich beim Abschlussgottesdienst die Chance verpasst hatte das ganze öffentlich zu machen. Dies wäre möglich gewesen bei einem ungeschützten Live-Interview mit dem Bürgermeister der Stadt Bremen. Stattdessen kümmerte ich mich darum eine Begleitung zur Polizei zu bekommen um meine Sachen abzuholen. Deswegen mache ich mir selber Vorwürfe, zudem die Begleitung ebenfalls verweigert wurde.
Eine Farce war es für mich in den Medien zu hören der Kirchentag sei harmonisch verlaufen.
Im Nachgang werde ich versuchen die derzeitige Kirchentagspräsidentin Karin von Welck und die designierte Präsidentin des 33. evangelischen Kirchentags in Dresden 2011 Katrin Göring-Eckardt sowie den dafür gebildeten Lenkungsausschuss sowie den Landesausschuss anzusprechen, damit sich das erlebte dann nicht wiederholt. Genauso werde ich erneut den Kontakt suchen zum Ökumenischen Kirchentag 2010 in München.
Quellen
(2) http://www.ekd.de/aktuell_presse/news_2009_05_18_2_obdachlose_dekt.html
(3) http://rhein-zeitung.de/on/09/05/21/news/t/rzo571911.html
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